Bürgermeister: „Europa wird die Probe bestehen!“
Getragen von vielen Mitwirkenden setzte das Schwelmer Gedenken zum Volkstrauertag – der wieder mit den Städtepartnern aus Saint Germain-en-Laye / Fourqueux begangen wurden – wichtige Akzente.
In seiner Ansprache im Rahmen der zentralen Gedenkstunde im Park an der Bahnhofstraße sprach Bürgermeister Stephan Langhard vor den teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern darüber, dass die „bald 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs uns in der Hoffnung bestärkt hatten, dass Krieg als Mittel der Auseinandersetzung fortan geächtet werden würde“.
Die russische Invasion in der Ukraine sei ein für nicht denkbar gehaltener Gewaltakt, der die Menschen in dem überfallenen Land in unbeschreiblicher Weise erschüttere. „Sie sterben, sie verlieren ihr Heim, sie frieren, sie hungern. Er erschüttert aber auch ganz Europa, ja fast die ganze Welt. Geflüchtete Menschen fliehen und werden in vielen Staaten – auch bei uns – aufgenommen; das angegriffene Land wird vielfach unterstützt“. Stephan Langhard dankte allen, die den Betroffenen helfen und auch allen Bürgern, die die Folgen der mit dem Krieg einhergehenden Energiekrise mittragen würden.
Die zu Anfang dieses Jahres mit dem Schwelmer Integrationskreis gezeigte Ausstellung „Flucht und Vertreibung“ habe verdeutlicht, dass das Schicksal von geflüchteten Menschen kein Kollateralschaden von Kriegen sei und sich auch nicht wie von selbst in der jeweiligen Nachkriegsordnung auflösen werde. Viel eher wirke es lange nach und vielfach in die nachfolgenden Gesellschaften hinein.
Dennoch, so der Bürgermeister, „empfinde er auch Hoffnung, weil um die Unterstützung des überfallenen Landes nicht erst mühsam gerungen werden musste“.
Die Lektion, einander so beizustehen, dass ein Krieg sich nicht mehr uneindämmbar ausweiten und ganze Erdteile verwüsten kann, habe unser Kontinent in der Vergangenheit mühsam erlernen müssen.
Er verwies auf die austarierten Vertragswerke des Westfälischen Friedens, die nicht nur einen Schlusspunkt unter den 30-jährigen Krieg gesetzt, sondern auch für lange Zeit Frieden gesichert hätten. So habe man damals ohne Möglichkeit für Rache und Ressentiments wieder nach vorne schauen und nach vorne leben können.
Als einen radikal positiven Schritt bezeichnete das Stadtoberhaupt auch die Unterzeichnung des Élyséevertrags, die sich am 22. Januar des kommenden Jahres zum 60male jähren wird. „Damals haben Charles de Gaulle und Konrad Adenauer nicht nur die deutsch-französische Freundschaft begründet, sondern mutig auch eine Vision für ein gemeinsames Europa entwickelt. Heute wissen wir: Der Élyséevertrag war ein Jahrhundertschritt für uns. Er hat dem Europa, das wir heute kennen, eine Grundlage gegeben, auf der wir als Nationen dieses Erdteils ganz neu und voller Hoffnung aufeinander zu gegangen sind. Das tiefe europäische Selbstverständnis, das uns heute auszeichnet, hat damals seinen Anfang genommen – weil man sich vertraut hat. Es ist das Europa, das heute gemeinsame Werte lebt, die uns kein Krieg nehmen kann und die sich auch von einigen Rechtsregierungen nicht erschüttern lassen werden.
Europa habe sich die aktuelle Probe nicht gewünscht, nehme sie aber an und werde sie bestehen: „Denn wir wissen, dass wir nicht ohne einander sein können und auch nicht wollen. Europa, das sich mit dem Élyséevertrag neu ausgerichtet hat, ist unsere Lebensversicherung. Das wissen wir als Staatengemeinschaft und als Bürger“.
In seinem Grußwort erinnerte Olaf Schade, Landrat des Ennepe-Ruhr-Kreises, an die Volkstrauertagsgedenken der früheren Zeit; als Kind habe er gespürt, dass solch eine Veranstaltung auch für seine Großmutter, deren Mann im Krieg geblieben war, wichtig war. Es werde auch wichtig bleiben, so der Landrat, der die Zukunft in den Blick nahm und darum bat, zwischen Staatsführern, Generälen und dem Volk zu unterscheiden und die russische Bevölkerung irgendwann wieder in die europäische Familie aufzunehmen, so wie man dies „auch uns Deutschen einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht hat“.
Ihn würde große Sorge umtreiben, beteuerte Maire déléguée Daniel Level aus Schwelms Partnerstadt Fourqueux, der die Erschütterungen durch den aktuellen Krieg zu seinem Thema machte. Er habe zu diesem Volkstrauertag bewusst auf das Tragen seiner trikoloren Schärpe verzichtet, „weil ich heute in erster Linie als Europäer hier stehe“. Gemeinsam mit Pfarrer Frank Bracklo, Präses der Evangelischen Kirchengemeinde Schwelm, trug Daniel Level das Totengedenken vor.
Wie in den Jahren zuvor engagierten sich Schülerinnen und Schüler des Märkischen Gymnasiums mit eigenen Beiträgen in Deutsch, Französisch und Ukrainisch. (Lehrerin: Frau Schütte-Gerold, Lehrer: Herr Paulick, Herr Seyda). Den Schlusspunkt setzte ein Gebet, in dem u.a. Gott „für die Sicherheit“ gedankt wurde, „dass es ein Morgen geben wird“ und für „die Freude, mit der wir jeden Tag beginnen können“. Gebeten wurde um den Mut, „als ein Volk zusammenzuhalten“, und um „die Kraft, Pflanzen, Tiere, deine ganze Schöpfung zu bewahren“.
Gerahmt von den Klängen des Musikzugs der Freiwilligen Feuerwehrwehr Schwelm unter Leitung von Rüdiger Leckebusch erfolgte die Niederlegung von Kränzen durch die Stadt, den Ennepe-Ruhr-Kreis, die französischen Freunde, den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Vereine, Verbände, Parteien u.a.
Wenige Tage zuvor hatte Bürgermeister Stephan Langhard auf Einladung seines Amtskollegen Daniel Level am Gedenken zum Volkstrauertag in Fourqueux teilgenommen so wie auch u.a. Katharina Vogt, Leiterin des Märkischen Gymnasiums Schwelm.
Autorin: Heike Rudolph