Heute, 85 Jahre nach den Ereignissen des Pogroms im Jahr 1938, erinnern wir uns als Stolperstein AG an den Abend des 9. November 1938 in Schwelm, der das Leben der jüdischen Familien in der Stadt noch furchtbarer werden ließ. Die Ereignisse von 1938 sind ein Mahnmal für die Auswirkungen von Hass und Vorurteilen, und wir nutzen diese Gelegenheit, um die Bedeutung der Erinnerung an diese Zeit zu betonen. In diesem Bericht werden wir näher auf die Ereignisse jenes Abends in Schwelm und das Schicksal der Familien Wassertrüdinger und Herz eingehen, um die Wichtigkeit der Erinnerung an dieses dunkle Kapitel der Geschichte zu verdeutlichen. Ihre Schicksale stehen stellvertretend für jene Millionen anderer, die unter dem Terror des NS-Regimes gelitten haben:
Das Jahr 1938 war – wie die fünf Vorangegangenen auch – geprägt von zahlreichen antisemitischen Maßnahmen, die die Lage der jüdischen Bevölkerung in Deutschland weiter verschärften und den Betroffenen die letzten Hoffnungen auf ein friedliches Zusammenleben nahmen.
Eine weitere Eskalationsstufe der antijüdischen Aktionen vor dem Krieg ereignete sich dann in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, bekannt als der Novemberpogrom. Dieser wurde durch die Ermordung eines deutschen Gesandtschaftsrats in Paris ausgelöst. Die nationalsozialistischen Machthaber nutzten dies, um zu einer groß angelegten Hetzkampagne gegen die jüdische Bevölkerung aufzurufen. Dies führte zu einer breit angelegten Zerstörung von jüdischen Geschäften und Synagogen im gesamten Reich, auch in Schwelm.
Hier nahmen, wie in der lokalen Zeitung berichtet wurde, Mitglieder der örtlichen NSDAP-Ortsgruppe an einer Feier zum Putsch von 1923 in der sog. „Hermann-Göring-Oberschule“, dem heutigen MGS, teil, die abends begann und bei der der Leiter das Attentat in Paris als Anlass nahm, um die Krawalle zu starten. Von der Schule aus zogen die Täter in die Schwelmer Innenstadt:
Das Hauptziel des Mobs war zunächst die Synagoge in der Fronhofstraße. Die Täter verschafften sich gewaltsam Zutritt und verwüsteten den Innenraum. Es scheint, als habe die Absicht bestanden, die Synagoge anzuzünden, ein Brandfleck auf dem Boden deutete darauf hin. Allerdings wurde dies verhindert, da ein Brand das angrenzende Fachwerk der dicht bebauten Schwelmer Innenstadt gefährdet hätte. Des Weiteren hatte sich die Stadt bereits kurz zuvor aufgrund eines Vertrags vom 21. Oktober 1938 dazu entschlossen, das Gebäude zu erwerben, sodass es der jüdischen Gemeinde gar nicht mehr gehörte. Einige Zeit zuvor hatte Frau Cohn, die Tochter des 1933 verstorbenen Schwelmer Viehhändlers Moritz Marcus, die Thorarollen aus der Synagoge mitgenommen und so gerettet. Der Verbleib der Thorarollen ist bis heute ungeklärt.
Die geplante Brandstiftung wurde aufgrund von Eigeninteresse also verhindert, dennoch wurden der jüdische Friedhof an der Delle sowie zahlreiche jüdische Geschäfte und Wohnungen verwüstet, darunter auch das Zuhause der Familien Wassertrüdinger und Herz.
In der Wilhelmstraße stürmte der Mob in das Haus der Wassertrüdingers, misshandelte das bereits ältere Ehepaar schwer und verschleppte sie ins Gefängnis. Joseph Wassertrüdinger wurde daraufhin in das Konzentrationslager Oranienburg gebracht und starb an den Folgen der dortigen, grausamen Haftbedingungen bald nach seiner Rückkehr 1939. Frau Wassertrüdinger wurde später nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Die Villa Limberg in der Wilhelmstraße glich derweil am Morgen des 10. November 1938 einem Trümmerfeld: Die Täter hatten die Einrichtung komplett verwüstet, teilweise zerstört sowie Wertgegenstände gestohlen.
Auch an anderen Orten der Schwelmer Innenstadt richteten die Täter am Abend des 9. November Schreckliches an: Im Hause des Arztes Dr. Kurt Herz wüteten SS-Leute, die die Wohnräume verwüsteten und Gegenstände aus dem Fenster auf die Kölner Straße warfen. Dr.Herz wurde mit anderen Schwelmer Juden über Recklinghausen in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Während Dr. Herz die unmenschliche KZ-Haft überstanden, starb dort der Schwelmer Ludwig Heinemann am 1. Dezember 1938. Sein Textilgeschäft in der Hauptstraße – das letzte Geschäft Schwelms, das noch einem jüdischen Inhaber gehörte – war am Abend des 9. November vom marodierenden Mob völlig verwüstet worden.
Dies alles geschah vor den Augen der Schwelmer Bevölkerung, die das Leid ihrer Mitbürger*innen größtenteils passiv zur Kenntnis nahm…. In der Folgezeit ging die Hetze gegen die verbliebenen jüdischen Bürger*innen in Schwelm massivst weiter, so wurden zum Beispiel die Lehrer der sog. „Hermann-Göring-Oberschule“, dem heutigen Märkischen Gymnasium, angehalten, vermehrt antisemitische Themen im Unterricht aufzugreifen.
Der Novemberpogrom von 1938 bleibt ein düsteres Kapitel in der Geschichte und erinnert uns daran, wie Hass und Vorurteile zu unermesslichem Leid geführt haben. Es ist von größter Bedeutung, sich an diese Ereignisse zu erinnern, um sicherzustellen, dass sie sich nie wiederholen.
Die Stolperstein-AG des Märkischen Gymnasiums Schwelm
Quellen:
Helbeck, Gerd: Juden in Schwelm. Geschichte einer Minderheit von den Anfängen im 17. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus, Schwelm 2007, S. 83-87.
Eigene Recherchearbeiten der Arbeitsgemeinschaft