Am Donnerstagmorgen sind wir um 6 Uhr zum Flughafen Dortmund gefahren. Von dort aus ging es mit dem Flugzeug nach Katowice und mit einem Reisebus weiter nach Oświęciem, der Stadt, die während der Zeit der Nazibesetzung in Auschwitz umbenannt wurde.
In unserem Hotel angekommen, machten wir uns bereit für eine kleine Stadtführung. Hierbei konnten wir die Auswirkungen des 2. Weltkrieges bis heute in Form von baufälligen und zerstörten Gebäuden sehen. In Oświęciem hatten Christen und Juden friedlich zusammengewohnt und beide Religionen konnten problemlos nebeneinander ausgeübt werden. Von den vielen Synagogen steht heute nur noch eine. Sie hat jedoch keine eigene Gemeinde, sondern lebt von Besuchergruppen und dem angebauten Museum. Diese Synagoge wurde als einzige nicht zerstört, da sie als Waffen- und Munitionslager diente.
Am Freitagmorgen haben wir das Stammlager „Auschwitz 1“ besichtigt. Andächtig und mit einem seltsam mulmigen Gefühl habe ich den bekannten Torbogen „ARBEIT MACHT FREI“ durchschritten. Heute sehen die Kasernen, die damals zu Gefängnishäusern entfremdet worden waren, fast wie eine friedliche Wohnsiedlung aus. Das Bild, das ich sah, passte nicht zu dem Bild, das ich mir bislang in meinem Kopf von einem Konzentrationslager gemacht hatte. Denkt man sich nur wenige Elemente weg, – wie z. B. den allgegenwärtige Stacheldrahtzaun, die Wachtürme, die „HALT“ Schilder vor dem Zaun und natürlich das Krematorium, – unterscheidet sich der Anblick in nichts von einer gewöhnlichen, schönen Wohnsiedlung. Erst als wir die Ausstellungen in einigen Gebäuden gesichtet hatten, wurde es für uns unerträglich und furchtbar, welche schreckliche Verbrechen sich in der Vergangenheit an diesem Ort zugetragen haben. Die Ausstellung mit über 80.000 Schuhen jüdischer Todesopfer, die Kleidung, Brillen, Koffer und Haare gingen uns so nah, dass viele in Tränen ausbrachen. Ich konnte und wollte nicht verstehen, was einen Menschen dazu bringt, einem anderen Menschen so etwas anzutun. In einer der Ausstellungen wurde der extreme Unterschied zwischen fröhlichen Kindern und Familien vor dem Krieg und dem, was mit ihnen während des Krieges passiert ist, gezeigt.
Die Kindermalereien an den Wänden, mit denen sie den Schrecken und die Angst, welche sie täglich erlebten, zu verarbeiten suchten, beeindruckten sehr. Auch das Buch mit den nicht enden wollenden Listen vieler in Auschwitz getöteter Inhaftierter, in dem wir auch zwei Schwelmer Bürger, Imanuel Ehrlich und Betty Wassertruedinger, fanden, ging mir sehr nah. Dieser Heimatbezug erzeugte erschreckende Nähe zu unserem sicheren Zuhause und bewirkte große Dankbarkeit für meine eigene glückliche, unbeschwerte Kindheit.
Als letzte Station gingen wir zum Krematorium, welches nicht wie die Krematorien in „Auschwitz 2 Birkenau“, gesprengt wurde. Plötzlich stand ich in der Gaskammer, in der vor 79 Jahren so viele Menschen ermordet worden waren. Ja, genau an dem Punkt, wo ich gerade stehe, dachte ich. Aus Reflex wollte ich aufhören zu atmen und bin schnell aus dem Gebäude gelaufen.
Am nächsten Tag fuhren wir zum Massenvernichtungslager „Auschwitz 2 Birkenau“, in dem jeden Tag 5.000 Menschen umgebracht wurden. Wir gingen entlang der Schienen auf das Zugtor zu, und bevor wir in das Lager betraten, stiegen wir auf den Aussichtsturm über dem Tor, um die unfassbare Größe der Anlage zu betrachten. Das Bild, das wir von diesem Turm aus sahen, ist genau das, was ich unter dem Begriff „KZ“ verstehe. Eine große, weite, kahle Fläche mit Holzbaracken und Ruinen. Bei der Führung durch das Lager wurden derart unglaubliche und furchtbare Geschichten und Begebenheiten geschildert, dass wir sie kaum fassen konnten. Es war einfach nicht begreifbar.
Erst als wir am Nachmittag die Kunstausstellung des politisch Inhaftierten Marian Kolodziej besichtigten, welcher die Haftnummer 432 zugeteilt bekommen hatte und von Beginn bis Ende des Krieges im Lager „Auschwitz 2 Birkenau“ um sein Überleben kämpfte, füllten sich die besichtigten Orte mit furchtbaren, grauenvollen Emotionen. Die Bilder von seinen Erlebnissen sind verstörend, und ich hatte während der Ausstellung Gänsehaut und wollte nur noch raus. In der folgenden Nacht habe ich von diesen grausamen Bildern geträumt, und auch jetzt noch verfolgen sie mich. Manchmal verknüpfe ich alltägliche Situationen mit Geschichten aus den beiden Lagern.
Vielleicht hilft mir dieser Artikel, die grausamen Bilder zu verarbeiten. Auf jeden Fall soll er die Bedeutung unterstreichen, wie wichtig das Wissen über den Holocaust ist, damit dieser niemals in Vergessenheit gerät. Eine solche Tragödie darf sich nie wieder ereignen.
Niklas Mattausch, Q2